Im Bereich der Kryptowährungen haben sich in den letzten Jahren neben dem Handel/Trading eine Vielzahl verschiedener Möglichkeiten zur Erzielung von passiven Einkommen entwickelt. Nicht zuletzt der Durchbruch der Decentralized Finance (DeFi) in 2020 hat diese Entwicklung noch einmal enorm verstärkt.

In diesem Zusammenhang dürfen sich immer mehr Finanzämter und mittlerweile auch die ersten Finanzgerichte mit Kryptowährungen und der Blockchaintechnologie auseinandersetzen. Über die Jahre hat sich in einigen Besteuerungsaspekten bereits ein erster Konsens zwischen Fachliteratur, Beraterschaft und Finanzverwaltung gebildet. In dieser Zeit haben sich – selbstverständlich möchte man sagen – auch bereits die ersten „Streitthemen“ herauskristallisiert, bei denen die Meinungen über die korrekte Anwendung zum Teil stark auseinanderfallen. Nachstehend sind einige (nicht abschließende) Rechtsfragen angeführt, welche die Finanzgerichte und letztendlich aufgrund der Neuartigkeit der Rechtsmaterie auch den Bundesfinanzhof (BFH) und das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in den nächsten Jahren beschäftigen werden:

  • Ist die Besteuerung von Kryptowährungen verfassungswidrig?
    siehe hierzu auch unser Artikel „Besteuerung von Kryptowährungen verfassungswidrig?
  • Handelt es sich bei Kryptowährungen um „Andere Wirtschaftsgüter“, wie es § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1 EStG für die derzeitige Behandlung des Tradings im Privatvermögen erfordert?
  • Welche Bewertungsvereinfachungsverfahren kommen für die Bewertung der Bestände von Kryptowährungen im Privatvermögen in Betracht – FIFO, LIFO oder Durchschnittsmethode?, siehe hierzu auch unser Artikel „Steuertipps für Kryptowährungen
  • Handelt es sich bei Margin Trading um sonstige Einkünfte nach § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG oder liegen Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG vor?

In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit der etwaigen Verlängerung der Haltefrist von Kryptowährungen im Privatvermögen von einem auf zehn Jahre.

Update BMF-Schreiben: Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token:
Mit dem BMF-Schreiben vom 10.05.2022 hat sich die Finanzverwaltung der in diesem Artikel dargestellten Rechtsauffassung angeschlossen und die Nichtanwendung der Verlängerung der Haltefrist § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 EStG verfügt. Dieses Schreiben bindet alle Finanzämter in Deutschland und ist in allen offenen Fällen anzuwenden.

1. ursprünglicher Artikel

Wir haben uns dazu entschlossen, den ursprünglichen Artikel mit unserer seit jeher vertreten Rechtsauffassung nicht zu löschen, sondern eine Abgrenzung zwischen „altem Artikel“ (Kapitel 1) und den Neuerungen durch das BMF-Schreiben vom 10.05.2022 (Kapitel 2) vorzunehmen. Wenn Sie lediglich der neue IST-Zustand interessiert, können Sie somit direkt zu Kapitel 2 springen, während Kapitel 1 die Hintergründe liefert, die (vermutlich) auch die Finanzverwaltung zur Aufgabe ihrer ursprünglichen Rechtsauffassung bewogen haben.

1.1 Verlängerung der Haltefrist auf 10 Jahre

Hintergrund der Debatte um eine etwaige Haltefristverlängerung ist die Regelung in § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 EStG:

„Bei Wirtschaftsgütern im Sinne von Satz 1, aus deren Nutzung als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden, erhöht sich der Zeitraum auf zehn Jahre.“

Diese Formulierung lässt isoliert betrachtet wenig Interpretationsspielraum. Damit ist die Sache eigentlich klar, oder?

Die in der Steuer- und Rechtsberatung beliebteste Antwort: Es kommt darauf an!

…und zwar auf die Anwendbarkeit dieser Regelung auf Kryptowährungen, die in Teilen der Fachliteratur und der Beraterschaft derzeit umstritten ist.

Die Regelung hat Ihren Ursprung im Unternehmensteuerreformgesetz 2008 und war seinerzeit zur Verhinderung eines Containersparmodells im Gesetz verankert worden. Spätestens hier wird es interessant: wenn also die Intention des Gesetzgebers die Verhinderung eines Steuersparmodells war und Kryptowährungen zu dieser Zeit noch nicht einmal existierten, so sollte die unkritische Anwendung dieser Norm auf Geschäfte mit Kryptowährungen zumindest diskutiert werden.

Darüber hinaus ist bisher nicht geklärt, ob Kryptowährungen überhaupt „Andere Wirtschaftsgüter“ im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1 EStG darstellen. Mitunter versucht die Finanzverwaltung derzeit Sachverhalte der Besteuerung zu unterwerfen, ohne hierfür eine Rechtsgrundlage zu haben.

Selbst wenn die Gerichte entscheiden sollten, dass Kryptowährungen Wirtschaftsgüter sind und die Verlängerung der Haltefrist trotz anderer Intention des Gesetzgebers zur Anwendung kommt, wird jede Kryptowährung individuell anhand ihrer Konzeption zu betrachten sein. Werden Einkünfte beim Staking, beim Betrieb von Masternodes oder beim Lending tatsächlich aus dem Wirtschaftsgut selbst oder abweichend hiervon aus einer Kapitalforderung erzielt? Fraglich ist demnach, ob etwaige Erträge (die zumeist – aber nicht immer – in der jeweiligen Kryptowährung „ausgeschüttet“ werden) ein Ausfluss aus dem Wirtschaftsgut Kryptowährung selbst darstellen, oder ob sie aus der (durch die Hingabe der Kryptowährung erworbenen) Kapitalforderung stammen. Freilich stellen Kryptowährungen nach derzeitiger Rechtslage keine Fremdwährungen dar, jedoch kann eine analoge Betrachtung des Sachverhalts geboten sein. Diese würde zu dem Ergebnis führen, dass es nicht zu einer Verlängerung der Haltefrist auf 10 Jahre kommt.

Das Bayerische Landesamts für Steuern kommt mit Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil v. 02.05.2000 (BStBl 2000 II S. 614)) zu dem Ergebnis, dass die erhaltenen Zinsen nicht dem Ausfluss des „anderen Wirtschaftsgutes Fremdwährungsguthaben“, sondern vielmehr dem Ausfluss der eigentlichen Kapitalforderung zuzuordnen sind, vgl. Bayrisches Landesamt für Steuern v. 12.03.2013 – S 2256.1.1-6/4 St32.

„Der Bundesfinanzhof hatte in seinem Urteil vom 02.05.2000 (BStBl 2000 II S. 614) entschieden, dass zu den Wirtschaftsgütern, die Gegenstand eines Spekulationsgeschäftes sein können, auch Valuten in fremder Währung zählen. Das Fremdwährungsguthaben bilde ein selbständiges Wirtschaftsgut i.S.d. § 23 EStG; davon zu unterscheiden sei die Darlehensforderung, die entstehe, wenn der Steuerpflichtige das Fremdwährungsguthaben als Festgeld anlege. […] Die vom BFH entwickelte Trennung zwischen Fremdwährungsguthaben und Kapitalforderung ist auch nach Einführung der Abgeltungsteuer vorzunehmen. […] Bei verzinslich angelegten Fremdwährungsguthaben greift diese Frist nicht. In diesen Fällen bleibt es bei der Frist von einem Jahr, da die Einkünfte (Zinsen) nicht Ausfluss des „anderen Wirtschaftsgutes Fremdwährungsguthaben”, sondern Ausfluss der eigentlichen Kapitalforderung sind. Unter Berücksichtigung der o.g. BFH-Rechtsprechung erscheint es konsequent und folgerichtig, die Frist nicht auf zehn Jahre zu verlängern.“

vgl. Bayrisches Landesamt für Steuern v. 12.03.2013 – S 2256.1.1-6/4 St32.

Exkurs: Interessant dürften an dieser Stelle auch die jüngsten globalen Entwicklungen sein. Der Präsident des mittelamerikanischen Landes El Salvador (Nayib Bukele) hat am 06.06.2021 angekündigt Bitcoin rechtlich den gesetzlichen Zahlungsmitteln in El Salvador gleichzustellen. Mit der Umsetzung dieses Vorhabens wird El Salvador das erste Land der Welt sein, das BTC als gesetzliches Zahlungsmittel anerkennt – damit könnte Bitcoin zukünftig eine Fremdwährung darstellen. Darüber wird man diskutieren müssen; insbesondere wenn sich diesem Vorgehen weitere Staaten anschließen sollten.

Nachstehend stellen wir Ihnen exemplarisch, jedoch nicht abschließend, die bekanntesten Fälle vor, bei denen die Haltefristverlängerungsproblematik derzeit bestehen könnte:

1.1.1 Lending

Beim Lending verleiht man Kryptowährungen und erhält im Rahmen des Verleihgeschäfts für deren Hingabe regelmäßige Erträge (meist in Form derselben Kryptowährungen). In der Regel werden diese Erträge dabei aus dem Verleihgeschäft (also als Ertrag der Forderung) erzielt und nicht aus dem Wirtschaftsgut (hier: der hingegebenen Kryptowährung) selbst. Da § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 EStG für die Verlängerung der Haltefrist auf 10 Jahre explizit Einkünfte aus der Nutzung des Wirtschaftsguts als Einkunftsquelle abstellt, hier jedoch die Erträge aufgrund der – dem Wirtschaftsgut zu trennenden – Forderung aus dem Verleihgeschäft generiert werden, ist eine Verlängerung nicht geboten. Überdies liegt auch ein Gestaltungsmissbrauch nicht vor, weshalb die Anwendung einer Norm gegen den Gestaltungsmissbrauch nicht geboten ist. Mehr zum Thema Lending finden Sie in unserem Artikel:

1.1.2 Staking (Proof Of Stake) & Masternodes

Ebenso verhält es sich bei Kryptowährungen, die für das „Staking“ (Proof Of Stake) genutzt werden und beim Betrieb sogenannter Masternodes. Diese können im Rahmen der Haltefristverlängerungsproblematik aus Vereinfachungsgründen analog thematisiert werden. 

Beim Proof Of Stake Consensus und beim Betrieb von Masternodes hinterlegen Nutzer spezielle Kryptowährungen und werden damit Bestandteil eines meist globalen zentralen oder dezentralen Netzwerks, welches beispielsweise Transaktionen in dieser Kryptowährungen „öffentlich beglaubigt“ und dem Netzwerk somit Sicherheit gibt. Befinden sich die Kryptowährungen im Staking oder laufen als Node, hat der Nutzer in dieser Zeit keine Verfügungsmacht über sie. Sie sind vergleichbar mit einer Sicherheitsleistung, die im Netzwerk hinterlegt wurde. Die exakte technische Umsetzung und die Dauer der Hinterlegung variieren dabei, da mehrere Kryptowährungen mit PoS-Consensus und darüber hinaus verschiedene Formen des Proof Of Stake existieren (beispielsweise der Delegated Proof Of Stake). Dasselbe gilt für Projekte, deren Netzwerk mittels Masternodes funktioniert.

Erträge werden beim Staking und dem Betrieb von Masternodes für den Entzug der Verfügungsmacht der Kryptowährungen und für die Bereitstellung von Sicherheit für das Netzwerk ausgeschüttet (meist in der jeweiligen Kryptowährung). Die Sicherheit des Netzwerkes wird dadurch gewährleistet, dass regelwidriges Verhalten den Verlust der Sicherheitsleistung zur Folge hat und nimmt zu, je mehr Teilnehmer global am Staking teilnehmen. Analog des Lendings werden auch in diesen Fällen keine Einkünfte aus dem Wirtschaftsgut selbst, sondern als Ertrag aus der Forderung für den Entzug der Verfügungsmacht und der Beteiligung an der Netzwerksicherheit erzielt.

1.1.3 Yield Farming und Liquidity Mining

Nach Auffassung der Bundesregierung soll die Verlängerung der Haltefrist auch auf die dem Bereich der Decentralized Finance zugehörigen Investmentformen Liquidity Mining und Yield Farming Anwendung finden. Diese Auskunft ist insbesondere dahingehend bemerkenswert, da sich gewichtigte Argumente dafür finden lassen, dass es sich bei diesen Anlageformen (zumindest teilweise) um Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 EStG handelt, für die eine Haltefristverlängerung gesetzlich nicht existiert, allerdings die Kapitalertragsteuer (Abgeltungssteuer) in Höhe von 25% greift.

Auf eine kleine Anfrage der FDP Fraktion (BT-Drucks 19/31924) nach der Anwendung der Haltefristverlängerung im DeFi-Bereich (z.B. Liquidity Mining, Yield Farming, etc.) antwortete die Bundesregierung (BT-Drucks 19/32192):

„Die Verlängerung der Haltefrist nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 EStG gilt für Wirtschaftsgüter im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG, aus deren Nutzung als Einkunftsquelle zumindest in einem Kalenderjahr Einkünfte erzielt werden. Beim sogenannten Yield Farming versuchen Halter virtueller Währungen durch Investments in dezentralisierte Finanzmärkte, Einkünfte zu erzielen, indem sie beispielsweise für dezentrale Börsen gegen Vergütung Liquidität in Form virtueller Währung bereitstellen (Liquidity Mining). Abhängig von der konkreten Ausgestaltung etwa eines genutzten Smart Contracts liegt in diesen Fällen nach Einschätzung der Bundesregierung eine Nutzung der eingesetzten virtuellen Währung zur Einkünfteerzielung nahe.“

Drucks 19/32192

Näheres dazu was man unter den Begriffen Yield Farming und Liquidity Mining versteht und wie die Besteuerung dieser Investmentformen erfolgt, können Sie unseren nachstehenden Artikeln entnehmen:

1.2 Was kann man tun, wenn das Finanzamt eine andere Auffassung vertritt?

Die Finanzverwaltung hat natürlich das Recht jeden Sachverhalt selbständig zu prüfen und kann sich aufgrund des Gesetzeswortlauts des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 EStG mitunter zu einer abweichenden Betrachtung verführen lassen. Die seitens des Finanzamts vorgetragenen Argumente gilt es dann zu entkräften. Anhaltspunkt für die eigene Argumentation können in diesem Artikel gefunden werden, es empfiehlt sich jedoch die Konsultation eines auf Kryptowährungen und Blockchain spezialisierten Rechtsbeistandes (Steuerberater oder Rechtsanwalt). Eine qualifizierte Rechts- oder Steuerberatung kann der vorliegende Artikel selbstverständlich nicht ersetzen.

Sollte sich das Finanzamt nicht von der Anwendung der Haltefristverlängerung abbringen lassen, besteht die Möglichkeit gegen die in der Folge erlassenen Steuerbescheide die notwendigen Rechtsmittel (innerhalb der Rechtsbehelfsfrist!) einzulegen und gegebenenfalls bis zur höchstrichterlichen Klärung dieser Rechtsfrage einen Antrag auf Ruhen des Verfahrens zu stellen. Kommt der BFH in ein paar Jahren dann zu dem Ergebnis, dass die Annahme einer Verlängerung der Haltefrist für Staking, Lending & Co. rechtsfehlerhaft ist, sind die erlassenen Bescheide noch „offen“ und können deshalb noch rückwirkend geändert werden. Etwaig zu viel entrichtete Steuern werden dann zuzüglich Zinsen erstattet.

Legt man keine Rechtsmittel ein, kann der Bescheid in der Zwischenzeit bereits bestandskräftig geworden sein – in diesem Fall hätte eine Korrektur des Steuerbescheids regelmäßig nur noch eine geringe Aussicht auf Erfolg.

1.3 Was passiert mit bereits steuerfreien Coins und Token?

Ist ein Coin oder Token (vertiefend zur Unterscheidung: „Tokenarten und die Besteuerung von Security Token“) bereits aus der einjährigen Haltefrist des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 1 EStG raus, führt das anschließende Staking, Lending oder der Betrieb einer Masternode nach derzeitiger Auffassung der Fachliteratur nicht zu einer rückwirkenden „Infizierzung“ der bereits steuerfreien Kryptowährungen. Zu diesem Punkt hat sich die Finanzverwaltung bisher jedoch noch nicht positioniert, sodass auch diesbezüglich das Risiko einer abweichenden Auffassung besteht.

2. Neuerungen durch das BMF-Schreiben vom 10.05.2022

Am 10.05.2022 hat das Bundesministerium der Finanzen die lang erwartete finale Version seines BMF-Schreibens mit dem Titel Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token veröffentlicht. Sie stellt die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung dar und bindet alle Finanzämter (nicht jedoch, Steuerpflichtige, Beraterschaft und die Finanzgerichte).

2.1 Der neue Status Quo

In der Randziffer 63 des Schreibens findet sich im Unterpunkt II. 5. cc) Keine Verlängerung der Veräußerungsfrist auf zehn Jahre der Passus:

Bei virtuellen Währungen kommt die Verlängerung der Veräußerungsfrist nach § 23 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 Satz 4 EStG nicht zur Anwendung.

BMF v. 10.05.2022

Die Regelung betrifft ausschließlich Kryptowährungen im Privatvermögen.

Da es bisher keine offizielle Version gab, die die Anwendung der Haltefristverlängerung bejaht hat, ist von deren Nichtexistenz von Beginn an auszugehen. Abweichende Auffassungen einzelner Finanzämter sind als rechtsfehlerhaft zurückzuweisen. Diese Regelung ist in allen offenen Fällen anzuwenden.

2.2 Advocatus Diaboli – welche Risiken bestehen?

Der Wegfall der Haltefristverlängerung ist grundsätzlich gut für den Kryptostandort Deutschland, nimmt aber auch interessantes Gestaltungspotential, da jeder Investor vermutlich seine Leichen mit -90% und mehr im Keller hat, die man mit kurzem Staking/Lending (notfalls P2P) unter Anwendung der Haltefristverlängerung (trotz Ablauf der Jahresfrist) steuerlich noch hätte zum Ansatz bringen können. Sicher müsste man sich hier (wieder) über § 42 AO unterhalten, aber es sind natürlich Sachverhalte denkbar in denen Steuerpflichtige und Beraterschaft vor genau dieser Frage stehen werden und die Haltefristverlängerungsthematik im Ergebnis trotz der (für den Großteil der Kryptoinvestoren erfreulichen) Änderung der Rechtauffassung seitens des BMF doch noch einer finanzgerichtlichen Würdigung unterzogen wird und letztlich dennoch vor dem Bundesfinanzhof (BFH) landet.

Inwieweit die Finanzrichter den Vorstoß der Finanzverwaltung, die Nichtanwendung des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 S. 4 EStG auf Kryptoassets zu erklären, teilen oder hier eine Kompetenzüberschreitung seitens des BMF rügen werden, wird dann mit Spannung zu erwarten sein.

Darüber hinaus enthält das BMF-Schreiben einige unangenehme Falltüren. So kann dem sich über den Wegfall der Haltefristverlängerung begeisterten Steuerpflichtigen ggfls. die Einstufung seines Stakings (als Validator, denkbar z.B. bei ETH 2.0 mit 32 ETH) als gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 15 EStG bevorstehen. Die Kryptoassets wären dann Betriebsvermögen und bis zum Ausscheiden aus dem Betriebsvermögen (z.B. Veräußerung, Betriebsaufgabe, Wegzug) steuerlich verstrickt.

3. Fazit

Die Rechtsfrage der Verlängerung der Haltefrist im Zusammenhang mit Kryptowährungsgeschäften (z.B. durch Staking, Lending oder dem Betrieb von Masternodes) auf 10 Jahre wird mittelfristig den BFH beschäftigen und vermutlich erst dort abschließend geklärt werden. Derzeit entscheiden die Finanzämter hierzu individuell, was zu einer abweichenden Besteuerungspraxis selbst innerhalb desselben Bundeslandes führen kann. In der Praxis sollte die Beraterschaft darauf achten, wie das jeweilige Finanzamt die Situation würdigt und einer abweichenden Rechtsauffassung mit den einschlägigen Rechtsmitteln begegnen. Es kann empfehlenswert sein, strittige Sachverhalte bereits vorab durch die Einholung einer verbindlichen Auskunft gemäß § 89 AO abzuklären.

Die unterschiedliche Besteuerungspraxis wird sich mit dem bevorstehenden Erlass eines ertragsteuerlichen BMF-Schreibens erübrigen, da dieses die Finanzämter bundesweit bindet. Es ist zu erwarten, dass sich das Bundesministerium der Finanzen darin zu der Haltefristverlängerung positioniert. Sollte das BMF die Verlängerung der Haltefrist auf 10 Jahre bejahen, ist mit einer Vielzahl an Prozessen vor den Finanzgerichten und letztlich der Klärung durch den BFH zu rechnen.

Update: Die diesseitige Rechtsauffassung wurde nunmehr durch den Erlass des finalen BMF-Schreibens zu ertragsteuerlichen Behandlung von Kryptoassets bestätigt. Steuerpflichtige und Berater sollten sich trotzdem noch nicht gänzlich in Sicherheit wiegen, da eine finanzgerichtliche Prüfung weiterhin aussteht und das BMF-Schreiben eine Verschärfung hinsichtlich der Qualifikation als Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit sich bringt.


Die angeführten Erläuterungen haben lediglich informatorischen Charakter, stellen keine Rechts- oder Steuerberatung dar und können diese mitnichten ersetzen. Die Informationen sind abstrakt, beziehen sich ausschließlich auf das deutsche Recht und entsprechen dem Rechtsstand des Beitragserstellungsdatums. Für eine konkrete Beratung wird diesseitig die Konsultation eines Rechtsanwalts oder Steuerberaters empfohlen.

Ihre Ansprechpartner:
Steuer- und Wirtschaftskanzlei Kuhlmann
Regierungsstraße 28, 99084 Erfurt

  • Dipl.-Kfm. Volker Kuhlmann, Steuerberater (Kanzleiinhaber)
  • Martin Rudolph, M.A. Staatswissenschaftler, Junior Tax Consultant (Autor)

So erreichen Sie uns:

Email: info@steuerberater-kuhlmann.de
Internet: www.steuerberater-kuhlmann.de
Telefon: 0361/601 29 90

Logo Steuerberater - Steuerkanzlei Kuhlmann

All-In-One Consulting
Kettenstraße 11, 99084 Erfurt

  • Martin Rudolph, M.A. Staatswissenschaftler, Junior Tax Consultant, Berater für Kryptowährungen und Blockchain (Inhaber)

So erreichen Sie uns:

Email: info@all-in-one-consulting.de
Internet: www.all-in-one-consulting.de
Telefon: 0152 – 0 700 94 32

Quelle für Gitter im Beitragsbild: Hintergrund Vektor erstellt von vectorpouch – de.freepik.com