Die vermutlich ältesten Bestandteile von Finanzmärkten sind das Verleihgeschäft und die Leihe von Assets jedweder Art. Daran hat sich über die Jahre bis heute grundsätzlich nicht viel geändert. Oder anders ausgedrückt:

„Ich brauche regelmäßig Milch. Wenn du mir deine Kuh ein Jahr leihst, kriegst du im Gegenzug 20 Hühner und kannst am Ende alle Eier und ein Huhn behalten“ – fertig ist der Vertragsschluss inkl. Zins und Besicherung.

Heute sieht das freilich alles anders aus. Digital, zumeist sogar ohne Besuch eines prunkvollen Bankgebäudes und mit möglichst fremdsprachiger Bezeichnung; nennen wir es Borrowing und Lending.

Dieser Artikel gehört zu unserer DeFi-Reihe, in der wir ausgehend von einer allgemeinen Einführung in die Decentralized Finance sukzessive die bisher bekanntesten Anwendungen vorstellen und auf deren steuerrechtliche Behandlung eingehen. 

1. Grundlagen

1.1 Das Entleihgeschäft – Borrowing

Anknüpfend an unseren „Kuh gegen Huhn“ – Sachverhalt befinden wir uns beim Borrowing auf der Seite des Hühnerbesitzers, der Milch benötigt und sich dafür die Kuh leiht. Um dem Kuhbesitzer den Deal schmackhaft zu machen bietet er dafür als Sicherheit (Collateral) 20 Hühner sowie die einjährige Fruchtziehung (alle Eier der 20 Hühner) und nach Ablauf der Jahresfrist die Übereignung eines Huhns als Gegenleistung. Er ist also bereit den Kuhbesitzer für die Überlassung der Kuh zu entlohnen. Das ist der Zins. Nach Ablauf der Jahresfrist gibt er die Kuh an den Eigentümer zurück und erhält im Gegenzug 19 der 20 Hühner.

Nun verfügen jedoch nicht alle Kuh- oder Huhnbesitzer über die erforderlichen betriebswirtschaftlichen, volkswirtschaftlichen oder finanzmathematischen Kenntnisse, um etwaige Risiken oder Preisentwicklungen vorab korrekt zu kalkulieren und eine neutrale Bewertung der eingebrachten Assets vornehmen zu können. Sie müssen ihre wertvolle Zeit auch vielmehr für die Bewirtschaftung ihrer Felder und des Viehbestandes verwenden. Das führte dazu, dass sich ein Mittelsmann dessen angenommen hat. Nennen wir ihn: die Bank.

Die Bank will für ihre erbrachten Finanzdienstleistungen jedoch entlohnt werden, weshalb das Kreditgeschäft nun auch zusätzlich die Kosten der Finanzierung abdecken muss. Zwischen Kuh- und Huhnbesitzer ist nun also ein Mittelsmann zwischengeschaltet, der beiden Parteien zwar wertvolle Zeit spart, aber dafür Geld kostet.

Weitergereist in der Zeithistorie:
Das Bankwesen hat sich prächtig entwickelt und der Handel läuft fast nur noch über Geld und eher selten über direkte Tauschgeschäfte. Ein Mensch braucht deshalb lediglich Geld und kann sich damit überall alle möglichen Güter kaufen. Das Geld verwalten die Banken. Der Mensch geht daher einfach zur Bank und die Bank gibt dem Mensch Geld gegen Zins und Sicherheit.

Weitergereist ins Zeitalter der Decentralized Finance:
Smart Contracts übernehmen die Rolle der Bank. Darlehensnehmer können auf zentralisierten Handelsplätzen (CEX), dezentralisierten Handelsplätzen (DEX) oder über spezialisierte dApps (decentralized applications, deutsch: dezentrale Anwendungen) von fremden Dritten ein blockchainbasiertes Darlehen via Smart Contract erhalten. Die Rahmenbedingungen legen die Marktteilnehmer dabei selbst fest. Regelmäßig ist aber die Hinterlegung von Kryptowährungen als Sicherheit (Collateral) erforderlich. Die hinterlegten Assets werden dabei der Verfügungsmacht des Entleihers entzogen und treuhänderisch via Smart Contract verwahrt. Sie dienen im Falle des Ausfalls des Kreditnehmers der Befriedigung des Rückforderungsanspruchs des Kreditgebers.

Kredite können durch Angebot und Nachfrage am freien Markt innerhalb weniger Sekunden festgelegt werden. Risikokalkulationen werden durch Schwarmintelligenz und Oracles abgebildet. Kredite werden wieder günstiger, beinhalten dafür aber etwas mehr Risiko, das mit Hilfe des Collaterals eingegrenzt werden soll.

Nutzt man eine DEX oder dApps entfällt die Bank als Mittelsmann und somit die Kosten für die Bankdienstleistung. Bei einer CEX ersetzt man lediglich die Bank durch die Exchange, der Mittelsmann bleibt bestehen – und damit auch die Risiken, die fehlende Dezentralität mit sich bringt.

Zentralisierte Exchanges können:

  • gehackt und manipuliert werden
  • Insolvenz anmelden und
  • Kryptoassets ihrer Kunden veruntreuten oder stehlen

Mehr zu den Vorteilen einer DEX im Vergleich zu einer CEX finden Sie in unserem Artikel „DeFi-Guide: SWAPs und Decentralized Exchanges“:

DeFi-Borrowing stellt somit im Ergebnis die dezentrale Kreditaufnahme gegen Zinszahlung im Bereich der Decentralized Finance dar, kann jedoch auch als „zentralisiertes Borrowing“ über zentralisierte Exchanges erfolgen. Die Vorteile der dezentralen Formen liegen in der Ausschaltung des Mittelsmannes sowie dem Wegfall vieler Zugangsbeschränkungen. Das führt letztlich zu niedrigeren Zinsen und einer jederzeitigen globalen Verfügbarkeit für Jedermann.

1.2 Das Verleihgeschäft – Lending

Der Position des Verleihers hat in unserem „Kuh gegen Huhn“ – Sachverhalt der Kuhbesitzer inne. Er generiert aus dem Geschäft mit der Überlassung seiner Kuh: ein Huhn und ein Jahr Eier von 20 Hühnern. Das ist sein Ertrag bzw. im übertragenen Sinne seine Zinseinnahme.
Auf die Opportunitätskosten der entgangenen Milch seiner überlassenen Kuh verzichten wir aus Vereinfachungsgründen.

Etwas weiter in der Zeitgeschichte:
Der Kuhbesitzer wird nahezu vollständig durch Banken ersetzt, da der Handel nun ausschließlich gegen Geld und nicht mehr als direkter Gütertausch vollzogen wird (siehe 1.1). Will man einen Kredit, geht man zur Bank und erhält bei ausreichender Besicherung sogar einen. Die Bank verlangt für die Darlehensvergabe die Zahlung von Zinsen.
Die Bank bunkert das Geld für die Darlehensvergabe teilweise selbst, holt es sich aber zum Großteil am Finanzmarkt, also von anderen Banken. Auf diese Weise entstand ein ganzer Finanzkosmos, der sich hervorragend mit sich selbst beschäftigen konnte und viele Formen der Geldüberlassung erfand. Das Investmentbanking war geboren und löste schnell die Zinsen als Haupteinnahmequelle der Banken ab.

Und dann im Zeitalter der Decentralized Finance:
Ein paar Finanzkrisen später ist der Kuhbesitzer plötzlich wieder im Spiel und kann via Smart Contract auch ohne betriebswirtschaftliche, volkswirtschaftliche oder finanzmathematische Kenntnisse rechtssichere Finanzgeschäfte via Blockchain abschließen. Seine Kuh braucht er nicht mehr verleihen, aber möglicherweise hat er seinen Kuhstall tokenisiert und schüttet die jährlich generierten Erträge an seine Investoren aus und vergibt verzinste Mikrodarlehen an Menschen überall auf der Welt, die ebenfalls ein Kuhimperium aufbauen wollen. Die Darlehen kann er über eine zentralisierte Exchange (CEX), eine dezentrale Exchange (DEX) aber auch dApps bereitstellen. Nutzt er eine CEX ersetzt er aber lediglich die Bank durch eine Exchange; der Mittelsmann bleibt bestehen und der Kuhbesitzer beraubt sich des Vorteils der Dezentralität.

Das DeFi-Lending stellt im Ergebnis die dezentrale Kreditvergabe gegen Zins im Bereich der Decentralized Finance dar, kann jedoch auch als „zentralisiertes Lending“ über zentralisierte Exchanges erfolgen. Durch den Wegfall der Bank als Mittelsmann erhält der Darlehensgeber ein größeres Stück vom Kuchen und erzeilt in der Regel eine deutlich bessere Rendite. Besichert ist er durch die Hinterlegung eines Collaterals des Kreditnehmers und die Sicherheit der Blockchaintechnologie.

2. Steuerrechtliche Betrachtung

2.1 Borrowing

Das Borrowing ist steuerrechtlich in den meisten Fällen unbeachtlich, da die Aufnahme eines Kredits und dessen Tilgung sowohl im Privatvermögen als auch im Betriebsvermögen steuerneutral erfolgt.

2.2.1 Privatvermögen

Lediglich die Zinszahlungen können – als Schuldzinsen – Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 EStG zum Ansatz gebracht werden, wenn ein Zusammenhang mit einer Einkunftsart gegeben ist und kein Ansatzverbot greift.

Erfolgt die Ermittlung der Einkünfte durch Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten oder durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ist das Zufluss-/Abflussprinzip des § 11 EStG zu beachten. Der Ansatz der Schuldzinsen erfolgt im Zeitpunkt der Zinszahlung(en). Da die Schuldzinsen beim Borrowing in den meisten Fällen in Form von Kryptoassets entrichtet werden, muss eine Umrechnung in Euro zum Abflusszeitpunkt erfolgen.

 2.1.2 Betriebsvermögen

Im Betriebsvermögen stellen die Zinszahlungen Betriebsausgaben i.S.v. § 4 Abs. 4 EStG dar, wenn ein betrieblicher Zusammenhang gegeben ist und kein Ansatzverbot greift.

Erfolgt die Ermittlung der Einkünfte durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ist das Zufluss-/Abflussprinzip des § 11 EStG zu beachten. Der Ansatz der Schuldzinsen erfolgt im Zeitpunkt der Zinszahlung(en), umgerechnet in Euro.
Wird der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (Bilanzierer) gem. § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermittelt tritt an dessen Stelle das Realisationsprinzip – die Schuldzinsen sind dem Jahr der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zuzuordnen und in Euro umzurechnen.

2.2 Lending

2.2.1 Privatvermögen

Zinseinnahmen stellen im Privatvermögen grundsätzlich Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG dar. Werden durch Lending Einnahmen aus Geschäften mit Kryptowährungen im Privatvermögen erzielt erfolgt die Subsumtion nach derzeitig h.M. in der Fachliteratur, der Beraterschaft und der Finanzverwaltung jedoch als Sonstige Einkünfte unter § 22 Nr. 3 EStG.

Erfolgt die Ermittlung der Einkünfte durch Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten oder durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ist das Zufluss-/Abflussprinzip des § 11 EStG zu beachten. Der Ansatz der Zinseinnahmen erfolgt im Zeitpunkt des Zinszuflusses. Da das Lending den Gegenpart des Borrowing darstellt, werden die Zinseinnahmen auch hier in den meisten Fällen in Form von Kryptowährungen zufließen und sind vice versa ebenfalls in Euro umzurechnen.

Für Lending im Privatvermögen existiert in § 22 Nr. 3 S. 2 EStG eine Freigrenze in Höhe von 256 EUR pro Jahr. Es handelt sich um eine Freigrenze und keinen Freibetrag; wird diese Grenze um 1 Euro überschritten, ist der komplette Überschuss/Ertrag steuerpflichtig.

Aufgrund der Subsumtion unter die Sonstigen Einkünfte unterliegt ein steuerpflichtiger Überschuss nicht der Kapitalertragssteuer (Abgeltungssteuer) für Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 25%, sondern dem individuellen tariflichen Steuersatz gemäß § 32a EStG (bis zu 45%).

Die Verlustverrechnung sowie der Verlustvor- und Verlustrücktrag sind nach § 22 Nr. 3 S. 3, 4 EStG i.Vm. § 10d EStG lediglich eingeschränkt mit positiven Einkünfte aus derselben Leistungen möglich.

2.2.2 Betriebsvermögen

Zinseinnahmen im Betriebsvermögen werden nach § 20 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 8 i.V.m. §§ 13, 15, 18 EStG aufgrund des Subsidiaritätsgrundsatzes grundsätzlich den jeweiligen betrieblichen Einkunftsarten zugeordnet. Da Erträge aus dem Lending von Kryptowährungen derzeit nicht als Kapitaleinkünfte qualifiziert werden, sollten sie vorerst als sonstige betriebliche Erträge zu verbuchen sein. Sie stellen somit Betriebseinnahmen gemäß § 4 Abs. 4 EStG (Umkehrschluss) dar.

Erfolgt die Ermittlung der Einkünfte durch Einnahme-Überschuss-Rechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG ist das Zufluss-/Abflussprinzip des § 11 EStG zu beachten. Der Ansatz der Zinseinnahmen erfolgt im Zeitpunkt des Zinszuflusses, umgerechnet in Euro. Wird der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich (Bilanzierer) gem. § 4 Abs. 1, § 5 EStG ermittelt tritt an dessen Stelle das Realisationsprinzip – die Zinseinnahmen sind dem Jahr der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zuzuordnen und in Euro umzurechnen.

Im Gegensatz zum Privatvermögen gibt es im Betriebsvermögen keine Freigrenze.

Die Verlustverrechnung ist uneingeschränkt möglich. Der Verlustvor- und Verlustrücktrag erfolgt anhand der bekannten Grundsätze des § 10d EStG.

3. Zusammenfassung und Fazit

Borrowing und Lending via Smart Contracts auf einer Blockchain können als das Schmiermittel für die komplette Decentralized Finance betrachtet werden. Nahezu alle DeFi-Applikationen benötigen an irgendeiner Stelle Kapital oder ermöglichen Investoren dessen Bereitstellung gegen Rendite.

Einen Überblick über Decentralized Finance sowie vieler Anwendungsformen können Sie unserem Artikel „Decentralized Finance: DeFi-Guide“ entnehmen:

Historisch betrachtet stellen Borrowing und Lending einen klaren Fall von „ein Schritt zurück und zwei Schritte nach vorn“ dar. Der Wegfall der Bank als Mittelsmann erhöht zwar das Gesamtrisiko leicht, hält dieses jedoch durch die Anwendung der Blockchaintechnologie in Grenzen. Im Gegenzug macht man die Kreditaufnahme und die Kreditvergabe digital, global, 24/7 zugänglich und schaltet den Mittelsmann aus, was zudem in deutlich geringeren Nebenkosten für die Kredite resultiert.

Die Blockchaintechnologie sorgt dafür, dass keine Manipulation stattfinden kann und bringt Finanzdienstleistungen an die entlegensten Orte dieser Welt – Orte an denen kein Banksystem existiert, korrupte Warlords Konten der Bürger plündern und Kriminalität vorherrscht. Menschen die aus den verschiedensten Gründen bisher Handyguthaben als Währung nutzten oder horrende Gebühren an die „Wechselstubenmafia“ für Auslandstransaktionen zahlen mussten brauchen zukünftig nur noch:

  • einen Internetzugang
  • ein Smartphone oder einen Computer
  • und natürlich Strom für den Betrieb.

Da Smart Contracts aber nur so gut sind wie der ihnen zugrundeliegende Code (dieser kann Fehler oder Hintertüren enthalten), sollten auch erfahrene Marktteilnehmer stets auf die Auswahl seriöser Projekte achten.

Aus steuerrechtlicher Sicht können wir eigentlich mit einem Satz schließen: Das Lending von Kryptoassets sollte als Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.d. § 20 EStG eingestuft werden, da es sich technisch gesehen lediglich um eine Kapitalüberlassung in einer anderen Assetklasse (Kryptowährungen) handelt, die dahinterstehende Systematik jedoch der normalen Kreditvergabe entspricht.  


Die angeführten Erläuterungen haben lediglich informatorischen Charakter, stellen keine Anlage-, Rechts- oder Steuerberatung dar und können diese mitnichten ersetzen. Die Informationen sind abstrakt, beziehen sich ausschließlich auf das deutsche Recht und entsprechen dem Rechtsstand des Beitragserstellungsdatums. Für eine konkrete Beratung wird diesseitig die Konsultation eines spezialisierten Rechtsanwalts oder Steuerberaters empfohlen.

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  • Martin Rudolph, M.A. Staatswissenschaftler, Junior Tax Consultant (Autor)

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