Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss vom 19.11.2019 – Az. 2 BvL 22/14 u.a.) hat am heutigen Tage den Beschluss veröffentlicht, dass das seit 2004 geltende Werbungskostenabzugsverbot der Kosten für eine Erstausbildung (Berufsausbildung oder Studium) nicht gegen das Grundgesetz verstößt.

Kosten für eine sogenannte Erstausbildung sind damit weiterhin Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG und nicht als Werbungskosten i.S.d. § 9 EStG zu qualifizieren. Sie bleiben somit im Ergebnis nicht vortragsfähig.

Die Kosten im Rahmen einer Zweitausbildung (z.B. Aufbau- oder Zweitstudium) stellen gemäß § 9 Abs. 6 EStG indes unverändert Werbungskosten dar. Da der Wortlaut des § 9 Abs. 6 EStG die Abzugsfähigkeit als Werbungskosten daran knüpft, dass der Steuerpflichtige für deren Ansatz zuvor bereits über eine abgeschlossene Erstausbildung verfügen muss, bewirkt diese Norm indirekt einen Ausschluss des Werbungskostenabzugs der Kosten einer Erstausbildung. Als Sonderausgaben i.S.v. § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG mindern sie im Jahre ihrer Entstehung bis zu einem Höchstbetrag von 6.000 EUR lediglich das zu versteuernde Einkommen, sind jedoch weder unbeschränkt abzugsfähig (§ 2 Abs. 2 Nr. 2, § 9 Abs. 1 S. 2 EStG) noch können sie nach § 10d EStG als negative Einkünfte in andere Veranlagungszeiträume vor- oder zurückgetragen werden.

Der BFH hatte die Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 9 Abs. 6 EStG und der korrespondierenden Praxis des Ansatzes als Sonderausgaben i.S.d § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG dem BVerfG im Jahr 2014 vorgelegt. Er vertrat die Auffassung, dass kein Unterschied zwischen Erst- und Zweitausbildung besteht und daher für beide Ausbildungsabschnitte ein Werbungskostenabzug zulässig sein müsse. Wären die Karlsruher Richter dieser Rechtsauffassung gefolgt, hätten in der Folge u.a. viele Studenten die Kosten für das Erststudium als vorweggenommene Werbungskosten vortragen können, sodass sich in einer Vielzahl der Fälle in den ersten Arbeitsjahren hohe Steuererstattungen ergeben hätten.

Die Verfassungsrichter begründeten ihre Rechtsauffassung folgendermaßen:

„Die erste Ausbildung sei etwas Anderes. Sie vermittle nicht nur Berufswissen, sondern präge in einem umfassenderen Sinne, indem sie die Möglichkeit bietet, sich seinen Begabungen und Fähigkeiten entsprechend zu entwickeln und allgemeine Kompetenzen zu erwerben, die nicht zwangsläufig für einen künftigen Beruf notwendig sind. Sie weist damit eine besondere Nähe zur Persönlichkeitsentwicklung auf (vgl. Manssen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 12 Rn. 13f.).
Aus gleichem Grund sei die Erstausbildung auch noch gemäß § 1610 Abs. 2 BGB von der Unterhaltspflicht der Eltern umfasst.“

„Nach Auffassung des Gesetzgebers gehört die erste Berufsausbildung typischerweise zu den Grundvoraussetzungen für die Lebensführung, weil sie Vorsorge für die persönliche Existenz bedeutet und dem Erwerb einer selbstständigen und gesicherten Position im Leben dient. Er ordnet deshalb Aufwendungen für die erste Berufsausbildung ebenso wie Aufwendungen für Erziehung und andere Grundbedürfnisse schwerpunktmäßig den Kosten der Lebensführung zu (vgl. BTDrucks 15/3339, S. 10; 17/7524, S. 10).“

Die Richter betonen in ihrem Sachvortrag explizit, dass dem Gesetzgeber in derlei Gesetzgebungsangelegenheiten verfassungsrechtlich erhebliche Gestaltungs- und Typisierungsspielräume zustehen.

„Der einfache Gesetzgeber bemisst die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip. Bei der Bewertung und Gewichtung von Lebenssachverhalten im Schnittbereich zwischen beruflicher und privater Sphäre verfügt er verfassungsrechtlich – unter Beachtung sonstiger grundrechtlicher Bindungen – über erhebliche Gestaltungs- und Typisierungsspielräume.“

Das Gericht erkennt zwar die steuerliche Ungleichbehandlung, betrachtet diese jedoch als sachlich gerechtfertigt.

„§ 9 Abs. 6 EStG bewirkt zwar eine steuerliche Ungleichbehandlung von Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine erstmalige Berufsausbildung oder für ein Erststudium, das zugleich eine Erstausbildung vermittelt (Erstausbildungskosten), mit Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen, zu denen auch Aufwendungen für zweite oder weitere Ausbildungen sowie Aufwendungen für eine erste Berufsausbildung oder ein Erststudium gehören können, die im Rahmen eines Dienstverhältnisses stattfinden. Für die Differenzierung besteht jedoch ein sachlich einleuchtender Grund. Die Begrenzung des Sonderausgabenabzugs für Erstausbildungskosten auf einen Höchstbetrag von 4.000 Euro (Anmerkung: seit 2012: 6.000 Euro) in den Streitjahren verstößt auch weder gegen das Gebot der Steuerfreiheit des Existenzminimums noch ist sie bei einer Würdigung im Lichte betroffener Grundrechte zu beanstanden.“

Der für die Richter entscheidende Grundgedanke wurde in dem nachstehenden Passus der Urteilsbegründung deutlich:

„Die Zuordnung von Erstausbildungskosten zu den Sonderausgaben und der damit verbundene Ausschluss eines Verlustabzugs nach § 10d EStG hat jedoch keine objektiv berufsregelnde Tendenz. Entscheidend für den Zugang zu einer bestimmten Ausbildung oder Ausbildungsstelle ist deren Finanzierbarkeit durch die Auszubildenden und Studierenden. Die Finanzierbarkeit hängt maßgeblich davon ab, ob und in welcher Höhe der Auszubildende/Studierende während der Ausbildung über eigene Einkünfte oder eigenes Vermögen verfügt beziehungsweise ihm Unterhaltsansprüche oder Ansprüche nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zustehen.“

Die Finanzierbarkeit des Studiums ist nach Auffassung des Gerichts im Rahmen einer Erstausbildung typischerweise durch Unterhaltsansprüche oder einen Anspruch auf BAföG-Leistungen gedeckt. Einen darüber hinausgehender Anspruch auf steuerrechtlich weiterreichende Geltendmachung der angefallenen Ausbildungskosten verneinen die Richter.

Ferner weisen sie darauf hin, dass der Staat eine Förderung durch die Schaffung des öffentlichen Bildungswesens und durch Leistungen nach dem BAföG gewährleistet und die bestehende Regelung des Sonderausgabenabzuges der Wahrung des verfassungsrechtlich abgeleiteten objektiven- und subjektiven Nettoprinzips in der Regel genügt.

„Bei der steuerrechtlichen Berücksichtigung von Ausbildungskosten darf der Gesetzgeber auch einbeziehen, dass der Staat die Ausbildung durch die Bereitstellung des öffentlichen Bildungswesens und durch Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bereits fördert (vgl. BVerfGE 89, 346 <355>).“

„In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle bildet § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG die erforderlichen Kosten für eine eigene Erstausbildung realitätsgerecht ab (vgl. Trossen, FR 2012, S. 501 <507>).“

Kommentar

Das Urteil ist nach unserer Auffassung enttäuschend, obwohl diesseitig den Ausführungen des Gerichts in vielen Punkten beigepflichtet werden kann. Ob die Kläger ihre Rechte vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) weiterverfolgen ist derzeit noch nicht ersichtlich.

Wir vertreten eine gegenteilige Rechtsauffassung. Für uns ist es weiterhin hinreichend ersichtlich, dass in einer Mehrzahl der Fälle beispielsweise die Aufnahme eines Erststudiums mit der Vorbereitung auf die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in jener Branche der Studienrichtung einhergeht. Entgegenhalten kann man dieser Ansicht freilich, dass der Kern eines Hochschulstudiums früher einmal eher der akademische Grundgedanke des Wissenserwerbes war, welcher unstrittig nicht konkret auf die Befähigung zur Ausübung eines speziellen Berufs abzielte – interessanterweise fehlt ebenjene Begründung in den Ausführungen des Gerichts. Auch wenn die Auslegung des Gerichts in weiten Teilen vertretbar erscheint, wäre doch eine analoge Anwendung der Gesamtplanrechtsprechung wünschenswert gewesen. Diese hätte bei späterer Berufsausübung zweifelsfrei aufzeigen können, inwieweit bereits die Erstausbildung – im Gesamtbild der Verhältnisse – der späteren Berufsausübung zuzordnungen gewesen wäre.


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